Obwohl die Forschung anerkennt, dass die Familie hinter einem Familienunternehmen entscheidenden Einfluss auf dessen betriebliche Abläufe nimmt, blieben die Familiendynamiken von Unternehmerfamilien im Vergleich zu Familien ohne unternehmerischen Hintergrund weitgehend unerforscht – insbesondere aus der Perspektive der Familienpsychologie.

Noch weniger ist über die Herausforderungen bekannt, denen Unternehmerfamilien beim Übergang von der zweiten zur dritten Generation begegnen. Nach der Gründung durch die erste Generation geht das Unternehmen häufig an die Kinder über, wodurch es sich in der zweiten Generation zu einer „Sibling-Partnership“ entwickelt. Der Übergang zur dritten Generation – oft als „Cousin-Konsortium“ bezeichnet – markiert einen kritischen Wendepunkt, der häufig als „Hürde der dritten Generation“ beschrieben wird. In dieser Phase erfahren Unternehmerfamilien einen exponentiellen Anstieg der Komplexität, da sich das Familiensystem von einer einzelnen Kernfamilie hin zu einem Netzwerk aus verschiedenen Kernfamilien entwickelt, die jeweils eigene Interessen und Visionen für das Unternehmen verfolgen.

Einige ForscherInnen beschreiben diese Phase als besonders riskant, in der viele Familienunternehmen scheitern, während andere ForscherInnen betonen, dass gerade Familienunternehmen (im Vergleich zu Unternehmen, die nicht familiengeführt sind) oft Jahrhunderte überdauern. Welche Rolle die Kernfamiliendynamiken in diesen uneindeutigen Befunden spielt, bleibt jedoch unklar.

Diese Studie zielt darauf ab Forschungslücken zu schließen, indem sie intergenerationale Familienfunktionalität basierend auf Olsons Circumplex Modell (2011) sowohl in Kernfamilien mit und ohne Unternehmenshintergrund untersucht. Im Fokus stehen dabei die Aspekte Kohäsion, Anpassungsfähigkeit, Kommunikation, Entscheidungsfindung, und Konfliktlösung. Die Familienfunktionalität wird dabei sowohl zwischen Familien mit und ohne Unternehmen, als auch zwischen jüngeren und älteren Unternehmerfamilien verglichen.

Diese Untersuchung soll tiefergehende Einblicke darüber gewähren, wie Unternehmerfamilien mit der im Laufe der Zeit zunehmenden Generationenkomplexität umgehen, wie sie mit wirtschaftlichen und finanziellen Interessenskonflikten zwischen den Kernfamilien umgehen und wie sich ihre Familiendynamik von Familien ohne Unternehmen unterscheidet.

Projektleitung

Methode

Um ein tiefgreifendes Verständnis über intergenerationale Familienfunktionalität (Kohäsion, Anpassungsfähigkeit, Kommunikation, Entscheidungsfindung, und Konfliktlösung) zu gewinnen, werden semi-strukturierte qualitative Einzelinterviews mit den drei Hauptgruppen geführt:

  1. Kernfamilien ohne Unternehmenshintergrund,
  2. Kernfamilien mit einem Unternehmen innerhalb der dritten Generation (≤3G)
  3. Kernfamilien, deren Unternehmen seit mehr als drei Generationen besteht (>3G).

Fragestellung(en) und Hypothesen

Wie unterscheidet sich die intergenerationale Familienfunktionalität zwischen Kernfamilien mit und ohne Unternehmen?

Sub-Fragen:

  • Wie charakterisieren Kernfamilien mit einem Unternehmen innerhalb der dritten Generation (≤3G) ihre intergenerationale Familienfunktionalität im Vergleich zu Kernfamilien ohne Unternehmen?
  • Wie charakterisieren Kernfamilien mit einem Unternehmen innerhalb der dritten Generation (≤3G) ihre intergenerationale Familienfunktionalität im Vergleich zu Kernfamilien, deren Unternehmen seit mehr als drei Generationen besteht (>3G)?

Wissenschaftliche und praktische Relevanz

Wissenschaftliche Relevanz

  • Es besteht die Möglichkeit, Olsons FACES IV-Skala (2008) speziell für die Bedürfnisse von Unternehmerfamilien zu adaptieren. Eine detaillierte Analyse der Skalenpunkte kann helfen, kontextspezifische Verzerrungen aufzudecken und die Messgenauigkeit der Familienfunktionalität in Unternehmerfamilien zu verbessern, da bestehende Skalen oft nicht auf die spezifischen Bedürfnisse von Familienunternehmen zugeschnitten sind.
  • Die Forschungsergebnisse dieser Studie werden einen Beitrag zur Forschung über Familienunternehmen leisten, indem sie eine zentrale Lücke schließen: den Vergleich der Familiendynamik zwischen Unternehmerfamilien und Familien ohne unternehmerischen Hintergrund.
  • Die Forschung ist zudem von besonderer Bedeutung für die Familienpsychologie, da sie das Circumplex-Modell von Olson (2011) anwendet, das in der Familientherapie verwurzelt ist.

Praktische Relevanz

  • Unternehmerfamilien: Durch das Bereitstellen von Erkenntnissen, die aufzeigen, wie sich die Familienfunktionalität in Unternehmer-Kernfamilien von Kernfamilien ohne Unternehmen unterscheidet, ermöglicht diese Studie den Unternehmerfamilien, ihre Kommunikations-, Konfliktlösungs- und Entscheidungsfindungsstrategien gezielt anzupassen. Dies trägt nicht nur zur Verbesserung des familiären Wohlbefindens bei, sondern stärkt auch die Stabilität des Unternehmens. Durch den Vergleich zwischen jüngeren und älteren Unternehmerfamilien, werden jüngeren Unternehmerfamilien (≤3G) dabei unterstützt, notwendige Anpassungen in ihrer Kernfamilienstruktur zu identifizieren und umzusetzen. Ältere Unternehmerfamilien (>3G) können diese Einsichten nutzen, um die oft vorherrschende Rigidität abzumildern.
  • BeraterInnen & TherapeutInnen: für BeraterInnen ist das Verständnis der spezifischen Familiendynamik, mit der sie konfrontiert sind, essenziell. Diese Erkenntnisse ermöglichen es ihnen, sich für ihre Interventionsstrategien auf charakteristische Merkmale in der Familienfunktionalität zu stützen, die Kernfamilien mit und ohne Unternehmen voneinander unterscheiden. Zudem ist die Fähigkeit, notwendige Anpassungen innerhalb der Kernfamilie über Generationen hinweg zu erkennen, entscheidend, um die langfristige Lebensfähigkeit dieser Unternehmen abschätzen zu können, zukünftige Herausforderungen zu antizipieren und proaktive Strategien zu formulieren. Solche Vorhersage-Modelle sind von großer Bedeutung für die Entwicklung effektiver Ansätze zum Management von Nachfolgeprozessen und zur Lösung von Konflikten, was letztlich den dauerhaften Erfolg von Familienunternehmen sichert. Für TherapeutInnen ist es ebenso wichtig, das Familiensystem ihrer KlientInnen zu verstehen, um dysfunktionale Muster effektiv behandeln zu können

Fördergeber

Fördersumme

36.000 EUR

Projektlaufzeit

Juli 2024 – Juli 2026

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Sigmund Freud PrivatUniversität
Fakultät für Psychologie
Freudplatz 1
AT-1020 Wien