Erinnern ist ein Prozess, der hilft – mittels eines Blickes zurück in die Geschichte –, unsere Gegenwart besser zu verstehen. Es liegt an uns, dieses Erinnern auch zukunftsfähig zu gestalten.

In allem und jedem war der Nationalsozialismus in der Tradition „abendländischen“ Denkens verwurzelt gewesen. Die Auseinandersetzung mit ihm – insbesondere wegen der Singularität des Holocaust – scheint geeignet, eine kritische Denkweise zu schärfen, um entsprechende Signale frühzeitig erkennen zu können und so die Intensivierung unserer demokratischen Kultur voranzutreiben.

Holocaust, Shoah sind Synonyme für ein und dasselbe: für den Bruch, ja für den Zusammenbruch unserer abendländischen (aufgeklärten) Zivilisation. Synonyme für Verlust, Abwesenheit, Leere – für etwas Universales. Daher geht dieses Thema uns alle an, betrifft uns alle, macht uns betroffen. Gemeinsam[1] tragen wir als Gesellschaft – im Sinne einer europäischen Werte- und Normengemeinschaft – Verantwortung für eine zukunftsfähige Holocaust-Erinnerung: durch inklusives sowie diskursives Erinnern, jenseits aller Sehnsüchte nach shared memories, wo eben auch divided memories ihren Platz haben.[2]

Je weiter sich die Ereignisse des Holocaust von uns entfernen, desto näher rücken uns dessen Mahnmale. So gilt es für uns fürderhin, neue Formen des Erinnerns zu denken, lebendige wie kreative (insbes. digitale) Zugänge zu suchen, eine andere (= unversteinerte) Erinnerungskultur zu entwickeln, um einer „Historisierung“ des Holocaust – besonders jetzt, mit dem Tod der letzten Zeitzeug*innen, mit dem Übergang von einem kommunikativen in ein kulturelles Gedächtnis – vorzubeugen.

Die Zukunft des Erinnerns an die Shoah wird wohl primär im Digitalen stattfinden, und so neuer ästhetischer Konzepte sowie interdisziplinärer[3] Ansätze (kreativer Erinnerungsprozesse) bedürfen.

Anstatt die Vergangenheit monumental erstarren zu lassen, gilt es, Holocaust-Erinnerung – in ihrer fortdauernden Nichtabgeschlossenheit – durch gemeinsame Erinnerungserfahrung (Interaktion wie Partizipation) lebendig zu halten. Dies soll mittels unseres Digital Holocaust Memorial geschehen.

[1] Ob wir nun Opfer, Täter, Widerstandskämpfer oder Mitläufer (Menschen, die bereitwillig mitmachten, und andere, die mitmachen mussten, um zu überleben) in unseren Familienhistorien hatten oder aber einen Migrationshintergrund haben, liegt es an uns allen einer Erosion liberal-demokratischer Werte in Europa entgegenzuwirken.

[2] vgl. dazu auch: Richard Sennett, Disturbing Memories, in: Patricia Fara/Karalyn Patterson (Hrsg.), Memory, Cambridge 1998, S. 10ff.

[3] vgl. Aleida Assmann, Die Last der Vergangenheit, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 4, Göttingen 2007, S. 375ff.

Tätigkeitsbereiche | Ziele des Institutes

  • Entwicklung kreativer Formen (= neuer Qualitäten) partizipativen, inklusiven Erinnerns – Digital Holocaust Memorial
  • Pädagog*innen-Module: für moderierte Digital Holocaust Memorials in Bildungseinrichtungen
  • Fortlaufende psychologische Untersuchung sowie Dokumentation der deliberativen Entwicklungen der Digital Holocaust Memorials
  • Erstellung forschungsgestützter Empfehlungen für innovative Strategien gegen bzw. zur Prävention von Antisemitismus und Rassismus
  • Forschungsbegleitende Lehre
  • Entwicklung kreativer Formen des Umgangs mit „belasteten“ Denkmälern und Orten
  • Das Institut ist interdisziplinär und international ausgerichtet

Fragen zum Umgang mit »schwierigem Erbe«

Bereits in der griechischen Antike fanden sich die freien Bürger auf der Agora, dem antiken Äquivalent des Markplatzes und Charakteristikum der Polis, zusammen, um dort über staatliche, philosophische und kulturelle Angelegenheiten zu diskutieren. Kunstwerke waren auf der Agora aufgestellt. Das öffentliche Interesse wurde – schon in der Antike – unmittelbar über Kunst zum Ausdruck gebracht, gleichsam auf offener Bühne. Entgegen dem überwiegenden Teil von Kunstwerken, die sich in Museen, Galerien oder in Privatsammlungen befinden, begegnet Kunst im öffentlichen Raum also uns allen (und zwar auch völlig Kunst-Desinteressierten), ist an uns alle adressiert: Als Kunst für die Öffentlichkeit, Kunst durch die Öffentlichkeit möchte sie Öffentlichkeit durch künstlerische Intervention diskutieren[1] und so an einem Wandel der Sichtweisen wie Ausprägungen kollektiven und kulturellen Gedächtnisses mitwirken. Damit aber erwächst Kunst im öffentlichen Raum eine ganz besondere – über Kunst an sich weit hinausgehende – Chance wie auch Verantwortung: Zumal sie sich aus sich heraus – und zwar ohne größeren kunsttheoretischen Erklärungs- wie Erläuterungsbedarf – Rezipient*innen zu erschließen hat/hätte.

Österreich – wie jede andere Nation – hat mit historisch „belasteten“ Denkmälern/Statuen/Orten, mit „schwierigem Erbe“ also, zu leben und umzugehen. Bis dato besteht dieser Umgang hauptsächlich in Form von Ideen zu deren Beseitigung, Verhüllung beziehungsweise Rekontextualisierung.

Aber ist eine Beseitigung, ein Verräumen „belasteter“ Statuen und Denkmäler (Cancel Culture) nicht einfach bloß ein Wegschieben derselben, und letztlich damit Verdrängung? Handelt es sich dabei nicht um Versuche einer Geschichtsklitterung? Wäre ein Verhüllen nicht auch eine Form von Bewahren und würde dies nicht gar zu einer Aufwertung des Verhüllten führen? Und hinsichtlich Rekontextualisierung: Robert Musil meinte in seinem Essay „Denkmale“ (Prager Presse, 1927), dass es letztlich nichts Unsichtbareres als Denkmäler gäbe. Und doch, es gibt noch etwas „Unsichtbareres“: die Gedenk-Zusatztafeln[2] mit ihren erläuternden Hinweisen (wohlmeinender Zeithistoriker*innen) an einem Denkmal.

Ja, und dann, dann gibt es eben noch die Möglichkeit einer Neukontextualisierung „schwierigen Erbes“ durch Kunst-Intervention. Konzeptkunst – in den 1960er Jahren maßgeblich von Sol LeWitt geprägt – weist uns hier den Weg. Die Ursprünge der Conceptual Art (als auch der Post-Conceptual Art mit ihrer Nähe zum Digitalen) liegen im Minimalismus; mit ihr wurden Theorien wie Tendenzen der ungegenständlichen (also der konkreten) Kunst weiterentwickelt. Das Konzept eines Kunstwerkes steht im Zentrum: Primat der Idee (Ideen implementieren das Konzept) in allem künstlerischen Handeln. An die Stelle des fertigen (gefertigten) Werkes treten Ideen für/zu Kunstwerke/n: Skizzen, Studien, Modelle (selbstredend auch digitale), Fotografien, Notizen (künstlerische ForschungKonzeptentwicklung), Pläne, Anleitungstexte und vieles mehr. Immer werden die Rezipient*innen mit einbezogen – auch in den Prozess der möglichen Ausführung des Werkes. Assoziationen wie Kontext sind für die/in der prozesshafte/n Entwicklung von Konzeptkunst stets wichtig. Das Kunstwerk – definiert durch sein Konzept – ist somit „entmaterialisiert“. Die Idee ist essenzieller als deren reale Umsetzung.[3] Kunst spielt sich im Kopf ab. Sol LeWitt beschließt seine „Paragraphs on Conceptual Art“ (1967) mit dem lapidaren Satz: „Conceptual art is only good when the idea is good.“ Und er eröffnet seine „Sentences on Conceptual Art“ (1969) mit den Worten: „Conceptual Artists are mystics rather than rationalists. They leap to conclusions that logic cannot reach.”

Was, wenn uns so – mittels Konzeptkunst (digital wie real) – eine wahrhaftige Umdeutung belasteter“ Denkmäler, Statuen und Orte zu Gedächtnisorten, zu Erinnerungsorten (für die jeweiligen Opfergruppen) gelänge? Könnte dies nicht gar zu einem sinngebenden Umgang mit „schwierigem Erbe“ führen?

[1] Der berühmte Satz von Joseph Beuys „Jeder Mensch ist ein Künstler“ (1967) meint: Jeder Mensch als soziales Wesen hat die schöpferische Kraft, sich selbst, die Gesellschaft und damit die Welt zu verändern. Unter Kunst verstand Beuys vorrangig eben nicht einzelne Werke, sondern Ereignisse, Debatten und Denkprozesse: kreative Schaffensprozesse.

[2] vgl. dazu auch: Alex von Tunzelmann, Heldendämmerung, München 2022, S. 332.

[3] vgl. dazu bereits Spinoza in seinen “Abhandlungen über die Berichtigung des Verstandes. Ethik“: „Denn wenn ein Handwerksmann sich ein Werk gehörig ausdenkt, so ist, wenn ein solches Werk nie dagewesen noch je daseyn wird, doch der Gedanke davon wahr, und der Gedanke bleibt derselbe, ob das Werk da ist oder nicht.“ (Spinoza, Opera. Werke, Lateinisch und Deutsch, Hrsg. von Konrad Blumenstock, Band 2, 1967, S. 53). Und Joseph Beuys: „Denken ist bereits eine Plastik“ (Idee der Sozialen Plastik).

Lehrveranstaltungen

  • Zwischen Holocaust und „Yolocaust“ – Zukunftsfähige Erinnerungskultur (SE, 3 ECTS)
  • Visuelle Erinnerungskulturen (UE, 3 ECTS)

Kooperationspartner

The Weidenfeld Institute of Jewish Studies (University of Sussex, UK)

Team | Kontakt

Sigmund Freud PrivatUniversität
Fakultät für Psychologie
Campus Prater
Freudplatz 1, 5. Stock
A-1020 Wien

 

Digital Holocaust Memorial

Web: https://dhm.sfu.ac.at
Einladung an Studierende (PDF)