Von 1965 bis 1990 wurde an der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit in Potsdam ein Fach gelehrt, das unter strenger Geheimhaltung stand: Die „Operative Psychologie“. Dieses vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierte Forschungsprojekt widmet sich erstmals den wissenschaftshistorischen Wurzeln, der fachlichen Entwicklung und den psychischen Konsequenzen der psychologischen Lehre und Praxis im Geheimdienst der DDR.

Auch über dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sind viele Fragen bezüglich der Quellen und der praktischen Wirksamkeit des operativ-psychologischen Wissens noch unbeantwortet und werden in diesem Projekt systematisch auf der Grundlage von Publikations- und Archivrecherchen sowie Zeitzeit*inneninterviews untersucht. Neben den archivierten Unterlagen des MfS und den Archiven der Psychologischen Institute der DDR in Leipzig, Dresden, Jena und Berlin integriert dieses Projekt die Perspektive derjenigen Menschen, die zur Zielscheibe der „operativen Maßnahmen“ der Staatssicherheit wurden, die von Techniken der „Zersetzung“ und Anwerbungsversuchen durch das MfS betroffen waren. Im Rahmen des Projektes werden biographische Gruppen- und Einzelinterviews durchgeführt, um Prozesse der Verfolgung, Unterdrückung und Entmächtigung, aber auch des Widerstands und der Solidarisierung mit anderen Betroffenen gegen die Übermächtigung durch staatliche Organe zur Sprache zu bringen.

Die Integration von wissenschaftshistorischer und biographischer Forschung verspricht, das bis dato sehr lückenhafte Bild der Operativen Psychologie nicht nur zu vervollständigen, sondern auch mit der lebendigen und widersprüchlichen Erfahrungen ehemals politisch Verfolgter in Perspektive zu setzen.

Projektteam

Projektleitung
Ass.-Prof. Dr. Dr. Martin Wieser, martin.wieser@sfu-berlin.de

Projektmitarbeiter:innen
Prof. Dr. David Becker
Helena Hotopp, MSc.
Caroline Jacobi, MA.
Emilia Mittag, MSc.

Methode

Archiv- und Publikationsrecherchen sowie Zeitzeug*inneninterviews

Fragestellung(en) und Hypothesen

  • Aus welchen Quellen schöpfte sich das operativ-psychologische Wissen des Lehrstuhls für Operative Psychologie an der Juristischen Hochschule in Potsdam?
  • Wie gestaltete sich der Personen- und Wissenstransfer von den Universitäten in den Geheimdienst, welche Entwicklungen lassen sich über die 25 Jahre des Bestehens des Lehrstuhls aufzeigen?
  • Welche Bezüge zwischen der Operative Psychologie und der geheimdienstlichen Praxis lassen sich auf der Grundlage der archivierten Materialien des Ministeriums für Staatssicherheit nachweisen?
  • Wie werden die „operativen“ Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit durch die Betroffenen erinnert, wie wurde auf die Repressionsmaßnahmen reagiert, welche Gegenstrategien und Solidarisierungsformen entwickelten die Verfolgten ?
  • Wie lassen sich die Erfahrungen der politischen Repression lebensgeschichtlich einordnen, welche Strategien im Umgang mit traumatisierenden Erfahrungen lassen sich aus der Perspektive der Betroffenen rekonstruieren?

Fördergeber

Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Projektnummer: P 33103

Projektlaufzeit

01.07.2020 – 31.12.2024

Veröffentlichungen

Sippel, C., & Wieser, M. (2022). Editorial. Psychologie, Repression und Aufarbeitung: Widersprüchliche Erinnerungen an die DDR. psychosozial, 45(3), 5-8. doi: https://doi.org/10.30820/0171-3434-2022-3-5

Wieser, M. (2022). Operative Psychologie. Zur Gründung und Entwicklung eines Lehrstuhls an der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. psychosozial, 45(3), 23-36. doi: https://doi.org/10.30820/0171-3434-2022-3-23

Maercker, A., Wieser, M., Wolfradt, U., Frindte, W., Gieseke, J., Guski-Leinwand, S., Richter, H., & Schmiedebach, H. (2022). Instrumentalisierung der Psychologie in der DDR? Eine wissenschaftshistorische, gesellschaftspolitische und fachethische Einordnung. Psychologische Rundschau, 73(2), 120-129. doi: 10.1026/0033-3042/a000589 (IF: 1.714)

Wieser, M. (2021). IM-Arbeit und das Problem der „Verbrüderung“: Überlegungen zum Verhältnis von Norm und Praxis der Operativen Psychologie. In A. Maercker, & J. Gieseke (Hrsg.), Psychologie als Instrument der SED-Diktatur. Theorien – Praktiken – Akteure – Opfer (S. 127-143). Bern: Hogrefe.

Wieser, M. (2020). “Talk to each other—but how?” Operative Psychology and IM-Work as “Micro-Totalitarian Practice”. In L. Schlicht, C. Seemann & C. Kassung (Eds.), Mind reading as a cultural practice (pp. 223-246). Cham: Palgrave Macmillan.

Wieser, M. (2020). Über das ‚Messer des Chirurgen‘ und ‚unangefochtene Inseln der Auslesearbeit‘: Skizze einer Genealogie der psychologischen Moral. In V. Balz & L. Malich (Hrsg.), Psychologie und Kritik. Formen der Psychologisierung nach 1945 (S. 141-161). Wiesbaden: Springer.

Michels, M. & Wieser, M. (2018). From Hohenschönhausen to Guantanamo Bay: Psychology’s role in the secret services of the GDR and the United States. Journal of the History of the Behavioral Sciences, 54(1), 43-61.

Bei Interesse am Forschungsprojekt kontaktieren Sie martin.wieser@sfu-berlin.de